Mittwoch, 25. August 2021

Bei diesem Spiel kann man den Ball nur hören

 

Vom 24. August bis 5. September 2021 finden in Tokio die Paralympischen Spiele (Paralympics) statt. Athleten aus aller Welt kämpfen in 22 Sportarten um olympische Medaillen.  Für Deutschland gehen in Japan 134 Athleten und 3 Guides an den Start. Sie nehmen an 18 der 22 Sportarten teil. Eine davon ist Goalball.

Von Martina Henrich-Kleyer

0825 goal ball 2015

Neuwied/Berlin. „Quiet please“ – Ruhe bitte – lautet die immer wiederkehrende Ansage des Schiedsrichters. Für die drei Spieler des Teams der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte Neuwied ist absolute Stille im Raum von besonderer Bedeutung. Denn sie spielen Goalball, die weltweit am weitesten verbreitete Ballsportart für Menschen mit Seheinschränkung, in der nur nach Gehör gespielt wird.

„Ab dem Moment, wo dann der Ball die Hand verlassen hat, darf man nichts mehr sagen, damit die gegnerische  Mannschaft nicht bei der Orientierung gestört wird“, erklärt Astrid Hepper, Trainerin der Neuwieder Schulmannschaft und Coach beim Schulsportwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“ (JTFP) eine Basisregel. „Denn dieses Spiel funktioniert ausschließlich über das Gehör. Man hört den (Klingel-)Ball, wie der auf einen zukommt, aus welcher Richtung“, beschreibt Hepper weitere grundlegende Elemente dieser Ballsportart, bei der alle Spieler nichts sehen können. „Aber es gibt auch Spieler, die können so leise spielen, dass man seinem inneren Gefühl folgen muss, woher der Ball kommen könnte. Das sind die Spitzenkönner.“ 

Wegen der Chancengleichheit tragen alle Spieler auf dem Spielfeld eine „Dunkelbrille“, auch diejenigen, die blind sind. „Sehende haben bei Goalball keinen Vorteil. Sie können in inklusiven Settings gleichberechtigt mitspielen, aber nicht auf nationaler oder internationaler Wettkampfebene. Hier erfolgt im Vorfeld eine Klassifizierung im Rahmen der Sehbeeinträchtigung“, erläutert Hepper das Reglement.

Wegen der Geräuschkulisse findet das Spielgeschehen ausschließlich in einer Halle statt. „Es ist kein Sport, wo man sofort jubeln darf, wenn ein Tor gefallen ist“, beschreibt Hepper eine weitere Verhaltensregel.  „ Man muss warten, bis das Tor auch vom Schiedsrichter als Tor gewertet wurde und dann erst darf man jubeln. Das ist für die Zuschauer unglaublich anstrengend, für die Trainer umso mehr, aber nötig, damit eine gewisse Disziplin bleibt.“ 

Diese und alle weiteren Goalballregeln sind weltweit gültig.  Ein Team besteht aus drei Startspielern, dem Center und zwei Flügelspielern sowie maximal drei Ersatzspielern.

Zur Ausrüstung gehören einheitliche Trikots mit Nummern auf der Vorder- und Rückseite.  Dazu kommen Protektoren: Mädchen/Frauen tragen  Brustprotektoren, die Jungen/Männer einen Tiefschutz.  Die Protektoren dürfen nicht weiter als 5 cm vom Körper abstehen. Auch nicht bei Torwarthosen, die an den Seiten/Hüften gepolstert sind.  „Da man rutschend verteidigt und immer über die Hüfte rutscht, ist das schon angenehm. Sonst haben unsere Jungs und Mädchen sehr schnell blaue Hüften“, weist die Trainerin auf weitere Besonderheiten der Ausrüstung beim Goalball hin. 

Große Anspannung und Vorfreude begleitete vor Beginn der Corona-Pandemie jedes Jahr die Neuwieder Schulmannschaft auf dem Trip nach Berlin zum jährlichen Bundesfinale Goalball, um sich mit den anderen Landessiegern, die in der Regel ebenfalls Schulteams sind,  zu messen.  Allein schon die Reise in die quirlige Bundeshauptstadt und das Zusammentreffen mit Gleichaltrigen aus ganz Deutschland  ist für die sportlichen Schülerinnen und Schüler aufregend und Neuland. „Man lernt neue Leute kennen und kann sich ein bisschen was abgucken von den anderen Teams“, verrät Mikel vom Neuwieder Team in einem Interview am Rande des Turniers in Berlin. 

„Einmal haben wir ganz knapp den Einzug ins Finale verpasst. Wir sind beim Penaltyschießen ausgeschieden. Aber – wie in jedem Spiel – ein Quäntchen Glück gehört auch dazu.“  Hepper fährt fort: „ Wir haben dann den vierten Platz erreicht, unsere beste Platzierung. Aber ein Jahr später, im Dezember 2018, haben wir das Nikolausturnier in Ilvesheim gewonnen und dabei den amtierenden deutschen Schulmeister und Sieger von JTFP, die Schloss-Schule Ilvesheim geschlagen.“ 

Nicht nur die sportlichen Ziele und Erfolge bleiben bei allen nachhaltig in Erinnerung.  „Besonders erinnere ich mich an unser erstes Turnier in 2013“,  fährt Astrid Hepper fort: „Wir haben den letzten Platz gemacht, wir haben jedes Spiel verloren, aber die Schüler haben so viel gegeben. Unser Center Ilya hat eine ganz tolle Leistung gebracht. ‚Ohne Ilya hätten wir jedes Spiel verloren‘ war der Tenor der Schüler. Wir haben jedes Spiel verloren, aber das Gefühl war ein anderes, “ gibt die Trainerin die Stimmung wieder.

„Eine Schülerin/Spielerin unserer Schule  war sogar im Gespräch für die Nationalmannschaft“, erinnert sich Astrid Hepper weiter. „Das hat sich zerschlagen, da sie nicht für längere Zeit von zu Hause weg wollte.“ Ein weiterer Schüler hat den Sprung in die Bundesligamannschaft von Nürnberg geschafft. 

Berlin Bundesfinale 2017: Ballbesitz für Neuwied - „Play“ – und innerhalb des Zeitlimits von 10 Sekunden erfolgt der Angriff. Nach und nach holen Mikel, Philipp und ihre Kameraden den Rückstand auf und beenden das Spiel mit 14:4 gegen die Mannschaft aus Unterschleißheim. Ein weiterer Sieg in der Vorrunde.

 


Wie funktioniert Goalball?

Das Ziel des Spiels besteht darin, den 1250 g schweren Klingelball in das gegnerische Tor zu werfen. Im Innern des Balls befinden sich Glöckchen.

Das Spielfeld misst 18 x 9 m und ist in sechs 3 m breite Abschnitte unterteilt, die mit Klebestreifen auf dem Boden markiert sind. Die Tore gehen über die gesamte Spielfeldbreite von 9 m und sind 1,30 m hoch. Der Ball muss innerhalb von 10 Sekunden auf der gegnerischen  Seite sein und darf gerollt, gepunscht bzw. gebounct werden. Die Spieler orientieren sich übers Gehör, den Tastsinn oder die räumliche Orientierung – bei kompletter Dunkelheit.

Die Spieldauer bei JTFP beträgt 2 x 7 Minuten, im Finale 2 x 12 Minuten. Ggf. noch 2 x 3 Minuten Verlängerung und anschließend  Penaltywerfen.


 

Dieses  Feature  wurde im Rahmen eines Seminars Sportjournalismus an der Deutschen Sporthochschule Köln von Martina Henrich-Kleyer, bis 31.07.2019  Leiterin der Landesschule, verfasst.